Josef H. Reichholf plädiert für einen rationalen Umgang mit der Erderwärmung

Josef H. Reichholf © Reichholf

Warme Zeiten sind gute Zeiten für Mensch und Natur. Das war eine der Kernbotschaften des Jubiläumsvortrages von Professor Josef H. Reichholf, den er am Samstag, den 12. Oktober 2019 zum zehnjährigen Bestehen des Vereins für Landschafspflege und Artenschutz in der Schlossschänke Friedenfels in der Oberpfalz hielt. Eine weitere Botschaft: Die derzeitige Erwärmung der Atmosphäre ist nicht verantwortlich für den drastischen Rückgang vieler Tierarten, insbesondere von Singvögeln und Insekten. Grund für deren Niedergang sei vielmehr die von der EU-Agrarpolitik mit Milliardensummen geförderte industrielle Landwirtschaft mit ihren Flurbereinigungen und den Güllefluten aus der Massentierhaltung. Hier und nicht beim Klimawandel seien die „Kippunkte“ des Ökosystems schon längst überschritten. Die Massenproduktion von Lebensmitteln zu Billigpreise sei eine „politische Unverfrorenheit ersten Ranges“, sagte Reichholf.

Allerdings machte der bekannte Naturforscher und Buchautor seinen Zuhörern wenig Hoffnung, dass diese zerstörerische Agrarpolitik, die große Betriebe zu Lasten kleinerer, oft nachhaltiger wirtschaftenden Bauernhöfe fördere, in absehbarer Zeit grundlegend reformiert werden könne. Trotzdem müsse man versuchen, wo immer möglich, der Natur in den ausgeräumten Feldfluren wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Reichholf schlug unter anderem vor, die wichtigen Randstreifen mit Blumen und niedrigen Gehölzen entlang von Verkehrswegen nicht regelmäßig „zu Tode zu pflegen“, sondern als dringend benötigte Refugien für Vögel, Insekten und Kleinsäuger zu erhalten. Eine entsprechende Initiative hatte der VLAB schon vergangenes Jahr gestartet.

Zu Beginn seines Vortrages widmete sich Reichholf dem Klimawandel. „Die derzeitige Erwärmung ist ein objektiver Befund und ich will den Klimawandel nicht klein reden“, betonte Reichholf. „Aber ist das alles wirklich so einzigartig?“ Reichholf bezog sich dabei etwa auf die Wärmephase zu Zeiten des Römischen Imperiums und das sogenannte Mittelalterliche Klimaoptimum mit ähnlichen Temperaturen wie heute. Alten Chroniken zufolge blühten im Januar 1171 die Obstbäume und im März 1241 wurden auf den Märkten bereits frische (natürlich heimische) Kirschen angeboten. Das Jahr 1540 war in Europa das heißeste und trockenste seit Menschengedenken gewesen. Langfristprognosen, wie sich die Temperaturen und das Klima in den kommenden Jahrzehnten oder Jahrhunderten entwickeln könnten, erteilte Reichholf eine Absage. „Anstatt unablässig und angstvoll in die Zukunft zu schauen, sollten uns lieber damit beschäftigen, was sich hier und jetzt abspielt und wir konkret verändern können.“

Reichholf wies nach, dass (noch) keine signifikante Häufung von Dürren, Hochwässern und Stürmen infolge des Klimawandels festzustellen sei. In der Vergangenheit seien Hochwässer oft wesentlich stärker und zerstörerischer gewesen als heute, wie historische Pegelmarken am Zusammenfluss von Inn und Donau in Passau zeigten. Die zunehmenden Waldschäden infolge von Stürmen und zweier aufeinander folgender Dürrejahre, in den Medien oft als „Waldsterben 2.0“ bezeichnet, sind laut Reichholf vor allem eine Folge verfehlter Forstpolitik. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien viele Kahlflächen mit schnell wachsenden Fichten aufgeforstet worden, oft an zu trockenen oder zu nassen Standorten, die für diese Baumart ungeeignet seien. Diese Fichten-Monokulturen befänden sich heute, etwa was Windbruch anbelangt, in ihrem anfälligsten Zustand.

Immer seien wärmere Zeiten für die meisten Lebewesen besser als kalte gewesen. So seien im Jahrhundertsommer 2003 die Schmetterlingspopulationen in Deutschland stark angestiegen, danach aber wieder auf den alten, niedrigen Stand zurückgefallen. Das seit den 70er Jahren zu beobachtende Insekten- und Vogelsterben sei die direkte Folge ausgeräumter und überdüngter Feldfluren. Paradoxerweise sei es oftmals in Bodennähe wegen des (zu) starken Pflanzenwuchses infolge der allgegenwärtigen Überdüngung kälter geworden, was Wärme liebenden Arten massiv geschadet habe. Und noch ein Paradoxon, das zu denken gibt: Die Artenvielfalt in den Städten sei heute viel größer als in den Feldfluren, sagte Reichholf. Eine der größten Feldlerchenpopulationen gebe es ausgerechnet auf den extensiv gepflegten Wiesenflächen zwischen den Start und Landebahnen des Münchner Flughafens.

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